Ist Österreich eine Plattform?


In diesen Zeiten sind wir vermehrt auf Online-Handel eingeschränkt – eine ohnehin längst im Gange befindlicher Trend wird damit noch befeuert. Um nicht alles den großen Plattformen wie Amazon zu überlassen, setzt eine aktuelle Werbekampagne von shöpping.at auf die nationale oder regionale Identität und auf das potentiell schlechte Gewissen , das sich einschleicht, wenn man die Handelsgewinne nur multinationalen Konzerne überlässt. Kann das von nachhaltigem Erfolg gekrönt sein? Nicht, wenn man den – naturgemäß immer noch wenigen – Forschungsergebnisse zu dem Thema glaubt.

 

Die gute Nachricht zuerst: Entgegen der Annahme, dass es nur auf die Größe der Plattformen und damit auf die Zahl der darauf aktiven Nutzer (Produzenten, Händler, Konsumenten) ankommen würde (Stichwort: Netzwerkeffekte), scheinen durchaus neue und kleine Plattformen gute Chancen zu haben. Allerdings reicht dafür ein Motto wie „Fördern Sie Regionalität“ oder „Österreich zuerst“ nicht! Nur eine Minderheit von Konsumenten lässt ihre Kaufentscheidung dauerhaft von moralischen Appellen leiten, welcher Art sie auch immer sind. Entscheidend dagegen ist die Intensität der Bindungen auf der und an die Plattform (z.B. aktuell: McIntyre, Srinivasan, & Chintakananda, 2020). Und dieses Prinzip gilt natürlich nicht nur in der Online-Welt. In unserem Strategie-Modell haben wir jetzt schon viele Firmen als primäre „Netzwerker“ identifiziert. Aber selbst in anderen Strategie-Arenen sind intensive Beziehungen oft entscheidend. Auch im stationären Handel genügt ein „Österreich-Siegel“ nicht mehr um ein Schnitzel zu verkaufen. Der Name der Bäuerin, der Ort, vielleicht ein Foto müssen draufstehen – und vielleicht die Chance sie bei nächster Gelegenheit persönlich kennenzulernen. Auf Online-Plattformen, aber eben nicht nur darauf, gibt es dafür viele Möglichkeiten und diese reichen weit über die Amazon-Beurteilungen hinaus.

 

Andererseits ist die Konkurrenz um Bindungen gerade in der Online-Welt unendlich. Man kann sich nicht über „die Jugend“ beschweren, die ständig am Smartphone wischt und den vielen Angeboten noch eines hinterherschieben. Und hier bietet tatsächlich die Verankerung einer digitalen Plattform in der realen Regionalität eine Chance. Während das Geschäft zunehmend in die digitale Welt wandert, sollten die Bindungen in der realen Welt verstärkt werden. Und dies betrifft nicht nur kleine Händler und Produzenten, sondern auch mittelständische und große Unternehmen.

 

In Zeiten des „social distancing“ klingt dieser Appell zynisch. Aber diese Zeit wird vorbei gehen, die digitale Transformation, die Probleme der Globalisierung und natürlich jenes des Klimawandels werden bleiben und größer.

 

Johannes M. Lehner

 

Literatur: McIntyre, D. P., Srinivasan, A., & Chintakananda, A. (2020). The persistence of platforms: The role of network, platform, and complementor attributes. Long Range Planning, (February), 101987. https://doi.org/10.1016/j.lrp.2020.101987

 


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